Die letzte Stunde der Wahrheit II

Welches Problem ich auch immer mit den Studierenden diskutiere - den Klimawandel, ökologische Gefährdungen, soziale Ungleichheit oder Gerechtigkeit und die angemessene Verteilung von Gütern und Lebenschancen, Dikriminierungen und Interessendivergenzen -, stets wundern sie sich darüber, warum die Lösung der Probleme so schwierig ist. Das Ökologieproblem wäre doch durch Einsicht in Verzichtsformen einfach zu erledigen. Auch Solidarität mit den Schwächeren setze nur einen freiwilligen Verzicht der Stärkeren voraus. Eine angemessene Verteilung von Gütern müsste staatlicherseits geregelt werden können, und wenn Produzenten solche Produkte herstellen würden, die man wirklich braucht, dann würde alles besser gehen. Und wenn sie darauf hingewiesen werden, dass ihr im kalifornishcen Cupertino ausgedachtes Smartphone für sie nur deshalb erschwinglich ist, weil man bei der Fertigung auf Löhne zurückgreift, die eben nicht denen in Kalifornien oder Oberbayern entsprechen, dann kommt zumeist die Reaktion, dass sich ja doch nichts ändern würde, wenn der Einzelne hier Verzicht leisten würde. Und wenn sie dann weiter mit der Idee konfrontiert werden, dass die viel niedrigeren Löhne in ärmeren Regionen der Welt dort womöglich nicht nur Ausbeutungsfolgen, sondern auch Entwicklungsmöglichkeiten beinhalten, gerät die Ordnung des Denkens schon stark ins Wanken. 

Die letzte Stunde der Wahrheit : Kritik der komplexitätsvergessenen Vernunft / Armin Nassehi. Neue Ausgabe. Hamburg: Sven Murmann Verlagsgesellschaft 2017. ISBN: 978-3-946514-58-9