Die falschen Freunde des Proletariats

Eine Hälfte der AfD- und Populistenbegeisterung kann man mit diesem Buch, das natürlich ohne Eribons "Rückkehr nach Reims" nicht möglich gesesen wäre, erklären. Fehlt noch der gutsituierte AfD-Wähler mit Frau, zwei Kindern, Eigenheim und wohlgefüllter Doppelgarage.
Gäbe es nicht diese weit verbreiteten (Selbst-)Bilder vom "einfachen Volk", würde die Rhetorik der Populisten kaum funktionieren. Die schwingen sich bekanntlich zu dessen "eigentlicher" Vertretung auf. Parteien, die bei Wahlen oft nur 12, 18 oder 24 Prozent der STimmen erhalten, können sich also als "die Stimme des Volkes" bezeichnen, das icht gehört wird. Obwohl also objektiv allenfalls eine Stimme einer Minderheit, wird diese Minderheit als etwas verstanden, was das Ganze repräsentiert, und umgekehrt kann jemand, der eigentlich die Zustimmung der Mehrheit hinter sich hat, im Extremfall als "Feind des Volkes" hingestellt werden. Das wäre eine völlig irrsinnige rhetorische Operation, gäbe es nicht die unausgesprochene Vorstellung, dass ein bestimmter Teil der Bevölkerung das "Volk" ist - und alle anderen eben nicht. (S. 12)
Der Verwundbare schätzt nicht den Wandel, sondern STabilität und Gemeinschaft. Für die oberen Schichten bedeutet Wandel, dass du dich weiterentwickelst oder ein Start-up gründest. Für die Arbeiterklasse heißt Wandel meist, dass du gefeuert wirst. (S. 84)
Robert Misik, Die falschen Freunde der einfachen Leute, Berlin: Suhrkamp 2019 (es 2741)