(Lokal-)Politikverdrossenheit

Der einzige Vorteil der geplatzten Jamaika-Sondierungen sei, so hieß es, dass das Parlament wieder eine wichtigere Rolle spiele und größere Bedeutung bekäme als in Zeiten der GroKo oder durch Koalitionen gesicherter Mehrheitsverhältnisse.

Der NDR meldet über den neuen Landtag in Schwerin:
Die CDU signalisiert Gesprächsbereitschaft. Der neue Plenarsaal lade zu einer lebendigen Debattenkultur ein, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer Torsten Renz auf Anfrage. Der Unionspolitiker machte klar: "Die CDU-Fraktion ist offen für mögliche Änderungen der Geschäftsordnung und wird über konkrete Vorschläge im Ältestenrat gern diskutieren."
In Greifswald läuft alles aber weiterhin in den gewohnt schlechten Bahnen. Die gestrige Sitzung des Wirtschafts-, Tourismus- und Kulturausschusses war ein "lebendiges" Beispiel dafür.

Zunächst einmal machte es die Sitzungsführung den Mitgliedern nicht einfach zu wissen, worüber sie jetzt gerade abstimmen sollen oder welcher Tagesordnungspunkt gerade verhandelt wird. Die unparteiische Sitzungsleitung ging sogar so weit, ein Abstimmungsergebnis sowie mehrere Redebeiträge von Ausschussmitgliedern abzuqualifizieren und zu bestimmen, wieviel Diskussionsbedarf noch besteht, sprich: die Diskussion nach eigenem Gutdünken abzuschneiden.

Dann munkelte man gar darüber, dass die hochdemokratische Einrichtung des "erweiterten Präsidiums" darüber gesprochen habe, dass bei einstimmiger Zustimmung zu einer Beschlussvorlage keine Redebeiträge in der Bürgerschaft mehr zugelassen werden sollen - nicht aufgelöst wurde das Problem, wie man denn vor der Abstimmung schon wissen kann, dass die Abstimmung einstimmig sein wird. Immer wieder wird in den Ausschüssen betont, dass sie nur beratend seien - wie kann man dann der tatsächlich beschließenden Bürgerschaft das Rederecht verweigern, nur damit die Mitglieder rechtzeitig zur Fußballübertragung wieder in den Pantoffeln und auf dem Sofa sind? Sich in die Bürgerschaft wählen zu lassen, ist ein freiwilliger Akt, über dessen Konsequenzen, gerade in zeitlicher Hinsicht, man sich vorher Gedanken machen sollte. Wir haben zwar in mindestens zwei Fraktionen junge und alte populistische Vielredner, die die Bürgerschaft zur Befriedigung ihres Selbstdarstellungsbedürfnisses missbrauchen. Aber das muss ein auf die Wortbeiträge fixiertes, sich demokratisches nennendes Gremium aushalten können, wenn schon die Selbstkontrolle und die der Fraktionen versagt. Es sind ja nur zwei, bei denen man schreiend und haareraufend den Saal verlassen möchte.

Selbst die Einbringung von Beschlussvorlagen wurde in der gestrigen Ausschusssitzung sowohl diskutiert als auch missbraucht. Die Sitzungsleitung ist davon überzeugt, dass, wie vor Gericht, die Beschlussvorlage, das schriftliche Dings, schon die Einbringung und ausreichend ist. Wir sind aber in der Bürgerschaft nun einmal nicht vor Gericht, sondern in einem Parlament, das vom gesprochenen Wort lebt. Deswegen sollte nicht dekretiert werden, dass die Vorlage eines schriftlich gefassten Antrags bereits die Einbringung sei. Welch ein Schwachsinn!

Eine Fraktion beharrte in der gestrigen Ausschusssitzung auf Einbringung durch den Antragsteller, der darauf leider nicht vorbereitet war. Das war aber auch gar nicht so schlimm, da die Fraktion die Einbringung sowieso nur gefordert hatte und dazu benutzte, um zu sagen, dass sie mit der Beschlussvorlage einverstanden sei, den Inhalt auch immer schon gefordert habe und wesentlich an der Formulierung dieser wunderbaren Beschlussvorlage beteiligt gewesen sei. Parteipolitik zum Abgewöhnen.

Im nichtöffentlichen Teil gab es einen Bericht über schwierige Verhandlungen mit dem Land MV. Auf die Nachfrage, ob es durch die Bürgerschaft Unterstützung geben könne, hieß es, dass es bald eine Informationsvorlage der Verwaltung gebe, sprich: Wir machen das schon, haltet euch da bloß raus. Danke, das nennt man "Ernstnehmen eines demokratisch gewählten Gremiums". Wer hat eigentlich die Verwaltung gewählt?


Die Ausschusssitzungen werden selten von Pressevertreter_innen begleitet, genauer gesagt: nie. Auch der Zuspruch bzw. der Besuch von Bürger_innen hält sich in eng beschränkten Grenzen. Ich verstehe das. 

Ich hoffe, dass sich der mögliche Umschwung in der Bedeutung des Parlaments mit der üblichen Verspätung auch in Greifswald bemerkbar machen wird. Allerdings habe ich diese Hoffnung erst für die Generation der Enkel.