Hauen und Stechen

"Bürgerhaushalt" ist ein großes Wort - in Greifswald wird es für Peanuts verschwendet. Nur wenig mehr als ein Placebo wird den Ortsteilvertretungen (OTV) zur Verfügung gestellt, damit sie damit anstelle der Stadt, die es sowieso tun müsste, Projektförderung betreibt. Eigentlich ein löbliches Unterfangen (nicht nur Bürger_innenbeteiligung, sondern auch Bürger_innenentscheidungen!), macht es durch das große Wort aber misstrauisch. Damit die wenigen Aufmüpfigen unter den Bürger_innen die "große" Politik nicht mehr so stören, dürfen sie sich auf dem Gebiet des Kleingelds austoben.

Nur mit Zudrücken sämtlicher Hühner- und sonstiger Augen kann man bei dem, was da gerade in Greifswald verhandelt wird, von "Bürgerhaushalt" sprechen. Eigentlich handelt es sich um einen Quartiersfond oder ein Stadtteilbudget (s. u.) oder so etwas, damit könnte man von diesem Sand in die Augen streuenden Euphemismus wegkommen. Die Kriterien für einen "Bürgerhaushalt"* erfüllt das Spielgeld eigentlich nicht.

Worum geht es? Die Stadtteile erhalten einen Sockelbetrag von 5000 Euro plus 50 Cent pro Bürger_in. Typisch deutsch müssen jetzt "Leitplanken" errichtet werden, damit es keinen Streit gibt, wofür die Einwohnenden das Geld in freier Entscheidung ausgeben "dürfen". Herausführung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit durch genehmigungspflichtige Freiheit, könnte man Kant erweitern. Selten bin ich einer Meinung mit Sascha Ott, aber er hat eine Formulierung gefunden, die das Phänomen, das in Greifswald "Bürgerhaushalt" genannt wird, gut beschreibt:
Sascha Ott (CDU) begrüßt zwar die Stadtteil-Budgets, hält ein Regelwerk aber für verfehlt: „Wenn ich meinen Kindern Taschengeld gebe, schreibe ich ihnen doch auch nicht vor, dass sie nur Schreibhefte kaufen dürfen“, kritisiert er.
Zudem zeigen die Bürger_innen noch vor Beginn der ganzen Aktion, dass sie genauso sind wie "die da oben" - noch bevor der Pseudo-Bürgerhaushalt ausgezahlt wird, treten die OTV bereits um sich, die größere der kleineren in die Zwölf.
Dann bleibt nur noch abzuwarten, ob es bei der Höhe des Grundbetrags von 5000 Euro je Ortsteilvertretung bleibt. Denn diesen Punkt kritisierten die Gremien im Ostseeviertel und in Eldena: Als einwohnerreiche Stadtteile sehen sie sich im Verhältnis zu den kleinen Ortsteilen wie etwa Friedrichshagen benachteiligt.
Es wird sicherlich ein großer Spaß zu beobachten, wie sich die Ortsteile à la "großer Politik" gegenseitig massakrieren. Wenn das qua Selbsterkenntnis zu weniger Stimmen für die AfD führte, hätte es immerhin schon mal einen positiven Effekt. Aber so richtig viel Hoffnung habe ich da nicht.





* 1. Im Zentrum des Bürgerhaushalts stehen finanzielle Angelegenheiten, es geht um begrenzte Ressourcen.
2. Die Beteiligung findet auf der Ebene der Gesamtstadt oder auf der eines Bezirks mit eigenen politischen und administrativen Kompetenzen statt. Ein Stadtteilfonds allein, ohne Partizipation auf der gesamtstädtischen bzw. bezirklichen Ebene, ist kein Bürgerhaushalt.
3. Es handelt sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren. Ein einmaliges Referendum zu haushaltspolitischen Fragen ist kein Bürgerhaushalt.
4. Der Prozess beruht auf einem eigenständigen Diskussionsprozess (eine Deliberation im Sinne von Habermas, 1992). Die Miteinbeziehung von Bürgern in bestehende Verwaltungsgremien oder Institutionen der repräsentativen Demokratie stellt keinen Bürgerhaushalt dar.
5. Die Organisatoren müssen Rechenschaft in Bezug darauf ablegen, inwieweit die im Verfahren geäuβerten Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt werden.