An
den Oberbürgermeister
der Universitäts – und Hansestadt Greifswald,
Herrn Dr. Arthur König
und
den Präsidenten der Bürgerschaft
der Universitäts – und Hansestadt Greifswald,
Herrn Egbert Liskow
Rathaus
Markt
17489 Greifswald
Sehr geehrter Herr Dr. König,
Sehr geehrter Herr Liskow,
wir, die Erstunterzeichnenden dieses Offenen Briefes, sind
Greifswalder Bürgerinnen und Bürger, die seit vielen Jahren in dieser Stadt
wohnen und die dem vielfältigen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen
Leben darin eine hohe Wertschätzung entgegenbringen. Kurz gesagt, wir sind
stolze Einwohner dieser Stadt.
Wir schätzen die Bürgernähe und das gute Zusammenspiel der
kommunalen Akteure und Interessengruppen besonders. In der Stadtentwicklung der
vergangenen Jahre wurden beachtliche Anstrengungen unternommen, Greifswald zu
einem modernen Zentrum der regionalen Wirtschaft, Wissenschaft und des
Tourismus weiter zu entwickeln und die Versäumnisse der vorangegangenen
Jahrzehnte zu überwinden.
Dabei wurde weitgehend versucht, das wertvolle kulturelle
und historische Erbe der Stadt behutsam mit den heutigen Anforderungen an eine
städtische Infrastruktur in Einklang zu bringen. Dazu gehört auch die
Anerkennung des ökologischen Potenzials der Grünanlagen auf das Wohlbefinden ihrer Einwohner.
Greifswald war immer auch eine grüne Stadt; ausgezeichnet
durch einen einzigartigen Erholungsraum – den Wall mit seinen Anlagen. Welche
Stadt wäre nicht stolz auf eine solche Oase lebendiger Natur in der Innenstadt!
Unser Heimatgefühl hängt sehr an diesem Wall und seiner unmittelbaren Umgebung.
Bei der Benutzung seiner Wege – ob als kurze Verbindung
durch die Stadt, oder als Ziel eines erholsamen Spazierganges –, immer schwingt
ein Wissen um seine Besonderheit und seinen Wert in uns mit.
Anders ausgedrückt: wir waren glücklich mit „unserem“ Wall
in seinem gewohnten Erscheinungsbild! Es ist uns immer bewusst, dass wir uns
auf einem Areal mit besonderer historischer Bedeutung bewegen – den Resten der
mittelalterlichen Stadtbefestigung Greifswalds.
Um die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten, gab es ohne
Zweifel Handlungsbedarf für eine Befestigung von Wegen und pflegerische
Eingriffe im Baumbestand. Die Ertüchtigung von Wegen im Bereich des
Müntergrundes wird von uns als sinnvolle und lobenswerte Verbesserung
gewürdigt.
Doch bereits in diesem Wallabschnitt zeigte sich sehr bald,
dass es offenbar viel weitreichendere Umgestaltungspläne gab, als den meisten
Greifswaldern zum damaligen Zeitpunkt bewusst sein konnte. Das Ausmaß der
Eingriffe in die vorhandene Struktur war für die wenigsten Einwohner unserer
Stadt absehbar. Es fehlte ein Beteiligungsprozess für interessierte Bürgerinnen
und Bürger in einem frühen Stadium des Vorhabens.
Umso größer war das Entsetzen vieler Greifswalder, als im
Verlauf weniger Wochen zunächst die Böschung am Goethegrund fast vollständig
beräumt wurde.
Die weitere Vorgehensweise bei den Fällarbeiten im Bereich
zwischen Wallaufgang am Bahnhof und den Credneranlagen hat bei uns ein Gefühl
der Ohnmacht und der Demütigung hinterlassen. So kann man unserer Meinung nach
nicht mit der emotionalen Bindung von Einwohnern an zentrale Orte und
Strukturen des öffentlichen Raumes umgehen!
Im Folgenden möchten wir Ihnen weitere wesentliche Kritikpunkte
nennen:
Diese unterteilen wir in eine:
- Verfahrenskritik und
- Kritik an Umfang und Konzept der Umgestaltungsmaßnahme
zu 1.: Verfahrenskritik
Aus unserer Sicht erfolgte eine unzureichende und verspätete
Information der Bevölkerung über Konzept und Umfang des Vorhabens
Wallsanierung. Wir bemängeln außerdem eine fehlende Einbeziehung der
öffentlichen Meinung im Planungsprozess. Die Möglichkeiten dazu hätte es immer
geben müssen. Der Verzicht darauf von Seiten der Stadt kann nicht allein mit
Zeitdruck gerechtfertigt werden. Eine ausgewogene und kritische Begleitung des
Vorhabens durch die Bürgerschaft in einer frühen Planungsphase ist für uns
nicht ausreichend erkennbar.
zu 2.: Kritik an Umfang und
Konzept der Umgestaltungsmaßnahme
Wir kritisieren die tiefgreifende Umgestaltung der
Wallanlagen auf der Grundlage eines willkürlich gesetzten historischen
Zeitpunktes. Ein ästhetisches Konzept der „ursprünglichen Sichtachsen“ bietet
nun freie Sicht auf Verkehrsinfrastruktur in Hörweite! So im Bereich
Goethegrund und am Wallaufgang vom Bahnhof. Damit wurde ein Zustand
hergestellt, der die heutigen Anforderungen an Rückzugs- und Erholungsräume
unzureichend berücksichtigt. Zur Zeit des 19. Jahrhunderts waren die einzigen
Verkehrsmittel Pferdefuhrwerke oder Droschken. Ein Bedürfnis der Bevölkerung
nach innerstädtischen Räumen, die von Verkehr, Lärm, Staub und Hektik
abgeschirmt sind, gab es nicht in dem Ausmaß wie heute.
Die bisherige Bestockung mit Buschwerk und Bäumen war
großflächig und mosaikartig. Die reichhaltige Höhenstaffelung der Vegetation
durch den vorhandenen Unterbau bot dem Auge des Besuchers viele ästhetische und
optische Reize in Form einer gewünschten strukturellen Vielfalt an Wuchsformen,
Blattwerk und Blattfarben etc. Viele Greifswalder haben gerade diesen Zustand
geschätzt und dadurch eine Befriedigung ihrer ästhetischen Bedürfnisse erfahren.
Was rechtfertigt es nun, diesen Zustand ohne Sensibilität für das Empfinden
vieler Greifswalder radikal zu entsorgen?
Wir sind nicht gegen Wegeneubau und die Umsetzung der
städtischen Verkehrssicherungs-pflicht bei kranken und morschen Bäumen. Ihre
behutsame Entnahme wäre aber etwas ganz anderes gewesen, als die nun erfolgte
Abholzung zahlreicher gesunder Bäume und die Zerstörung wertvoller Lebensräume.
Der ökologische Wert bemisst sich eben nicht allein daran, ob im betroffenen
Gebiet geschützte Tier- und/oder Pflanzenarten vorkommen bzw. sich vermehren.
Dabei bot der Wall und sein Umfeld in seiner bisherigen Struktur unzählige
Möglichkeiten der Tier- und Pflanzenbeobachtung. Als Beispiele soll hier die
reichhaltige Vogel- und Insektenwelt genannt werden, darunter sogar der
Eisvogel am Stadtgraben und große Mengen des Admiralfalters im Herbst im
Bereich Goethegrund. Eine Habitatbeseitigung, wie sie jetzt vorgenommen wurde,
ist ein stadtökologischer Verlust und allein mit den bisherigen Begründungen
kaum zu rechtfertigen.
Wie ist es in Zukunft um den Wind- und Schneeschutz überall
dort bestellt, wo die Böschung radikal bereinigt wurde? Hat man außerdem berücksichtigt,
dass die flächenhafte Vegetation ein wichtiger innerstädtischer
Verdunstungsraum war, der an heißen Sommertagen immer für einen angenehmen
Kühlungseffekt auf dem Wall gesorgt hat? Die stark ausgedünnte Bestockung wird
nicht ohne Folgen auf diese positiven Effekte bleiben.
Von vielen Eltern wurde betont, welche Bedeutung die
Wallanlagen bisher beim Familienausflug für das Spielen, Toben und Klettern der
Kinder hatte. Das jetzige Gestaltungskonzept schränkt die Erlebnismöglichkeiten
für Kinder erheblich ein.
Und schließlich möchten wir fragen, ob die jetzt am Wall
eingesetzten Fördermittel nicht das notwendige Maß weit überschreiten und in
anderen Aufgabenfeldern der Europäischen Union sinnvoller hätten verwendet
werden können?
Aus den genannten Gründen möchten wir
sie ausdrücklich bitten:
1.
in den bisher noch nicht beräumten Böschungsbereichen
die bisherige Vegetationsstruktur weitgehend zu erhalten und eine Fällung bzw.
einen Pflegerückschnitt auf das Notwendigste zu beschränken.
2.
die jetzt geschaffene Vegetationsstruktur durch
Anpflanzung von Sträuchern ökologisch-funktional und ästhetisch aufzuwerten
3.
bei zukünftigen Vorhaben dieser Größenordnung geeignete
Formen der Bürgerbeteiligung aktiv anzustreben und einzusetzen
Vielen Dank.
Die Erstunterzeichnenden:
(Reihenfolge zufällig)
Update
Der Fleischervorstadt-Blog schreibt dazu:
Offener Brief zur Umgestaltung der Greifswalder Wallanlagen
Am Dienstag wurde dem Greifswalder Oberbürgermeister Dr. Arthur König (CDU) ein Offener Brief übergeben, ein gleichlautendes Schreiben ging an den Bürgerschaftspräsidenten Egbert Liskow (CDU). In dem Brief kritisieren die 30 Erstunterzeichnenden die rigorose Umgestaltung der Greifswalder Wallanlagen und fordern neben dem Erhalt der verbliebenen Vegetationsstruktur, bei Projekten dieser Größenordnung die Greifswalder Bürgerinnen und Bürger geeigneter miteinzubeziehen.
Hier der komplette Beitrag.