Konsumtempel oder Tante-Emma-Ersatz?

Für die anwesenden Pressevertretenden, speziell einen, betonte die CIMA-Mitarbeiterin Carita Pech, dass sie, im Unterschied zur Presseberichterstattung, bei der Firma CIMA arbeite, die auch das Gutachten (hier zu finden) erstellt habe. Dies verging ungehört, der heutigen OZ durften wir entnehmen, dass die "Cita-Expertin Carita Pech" das "Gutachten der Firma Cita" vorstellte und verteidigte. Jörg Hochheim wies darauf hin, dass das besagte Gutachten und sämtlichen Unterlagen (z. B. das später heftig diskutierte Verkehrsgutachten) schon lange online stünden. Aber wer nach "Cita" sucht, find' halt nix! Vielleicht kam daher der Satz von Hochheim, man dürfe nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe...

Gestern um halb sieben fand im Bürgerschaftssaal eine Veranstaltung der SPD-Fraktion (die Grüne soll auch beteiligt gewesen sein) statt, auf der die anwesenden Mitglieder des Podiums (Thilo Kaiser, Stadtbauamt; Anette Riesinger, Quartiersmanagerin Fleischervorstadt; Jörg Hochheim, Bausenator; Ullrich Bittner, Grüne; Frank Embach, Innenstadtverein; Wolfgang Joecks, SPD-Fraktion und Moderator; Carita Pech, CIMA; Stephan Gosch, Verkehrsgutachter; Jürgen Sallier, Investor) über das von der Bürgerschaft bei einer Enthaltung ohne Gegenstimmen beschlossene Tante-Emma-Konsumtempel-Projekt (vorläufiger Arbeitstitel) in den KAW-Hallen am Bahnhof zunächst untereinander, dann auch mit dem Publikum diskutierten. Dabei wurde die Zeit der Diskussion limitiert durch das Fussballspiel, das um halb neun begann (und unerwartet endete).

Auffällig war die Parallele zum Kahlschlag auf dem Wall: Bereits 2012 beschlossen die Innenstadtvertretung, der Bauausschuss und die Bürgerschaft, die KAW-Hallen für das Projekt zu nutzen und den Bebauungsplan entsprechend aufzustellen. Niemand (die eine Enthaltung will ich nicht so recht zählen) war dagegen. Hochheim betonte zu recht, dass er nur ausführe, was die Bürgerschaft beschlossen habe. Das war bei der Beschlussfassung zum Kahlschlag am Wall ähnlich: Ortsteilvertretung, Bau- und Umweltausschuss sowie Bürgerschaft haben bei dem wegen der Fördermitteltermine hastig durchgezogenen Beschluss zum Kahlschlag des Walls tief und fest geschlafen bzw. die Bedeutung ihres eigenen Beschlusses nicht mitgekriegt bzw. sich keinerlei Gedanken über die Folgen des Beschlusses gemacht.

So auch in diesem Fall: Durch die ähnlich wie mit der BAUBECON jahrelange zufriedenstellende Zusammenarbeit mit der CIMA vertrauensvoll aufgenommene Information, dass das Einkaufszentrum entgegen dem gesunden Menschenverstand, der Offensichtlichkeit und der Erfahrung der Innenstadt nicht schade (sondern eher dem Marktkauf in Neuenkirchen), wurden alle Pläne abgenickt und durchgewunken. Jetzt entsteht, damit die Bewohner_innen der Fleischervorstadt zu Fuß einkaufen gehen können (dieser Grund wird von den Betreibenden in den Vordergrund geschoben), ein marktkaufgroßes Einkaufszentrum, welches aus diversen Gründen (die der Berichterstatter nicht alle verstanden hat) der Innenstadt nicht schadet, sondern ihr sogar nützt, denn es wird seit Jahrzehnten gejammert, mensch könne in der Innenstadt keine Lebensmittel einkaufen - entgegen dem gesunden Menschenverstand, der Offensichtlichkeit und der Erfahrung. Endlich ein Lebensmittler in der Fleischervorstadt! Zwar in Randlage, aber eben nicht in der Innenstadt... Die Randlage ist dergestalt, dass gefragt werden muss, ob der Weg für die diskutierte Senior_in mit Rollator aus manchen Gebieten der Fleischervorstadt in die Innenstadt nicht kürzer ist als der zum Bahnhof. Diese Diskussion ist aber jetzt obsolet, da durch den aufkommenden Verkehr die Bahnhofstraße zu einer ähnlich unüberwindlichen Zäsur wird wie der Hansering zwischen Ryck und Innenstadt.

Aber jetzt beginnt auch der Widerstand: Eigentlich sollte auf der heutigen Bürgerschaftssitzung nochmals ein Beschluss in dieser Sache gefaßt werden. Der Punkt wurde allerdings von der Verwaltung auf Bitten des Investors von der Tagesordnung genommen, da offensichtlich noch Diskussionsbedarf besteht.

Was war geschehen? Die Innenstadthändler_innen haben verstanden, was in den KAW-Hallen passieren soll, und haben protestiert. Dadurch kommt das Thema zwar nicht auf die TO der Bürgerschaft, aber auf die Agenda der öffentlichen Diskussion. Wo es 2012 schon hingehört hätte, aber - s. o.

Jetzt kommen, wo es fast schon zu spät ist, und was ein wirklich nicht pfleglicher Umgang mit Investoren ist, die Bedenken auf den Tisch:

1. Abzug der Kaufkraft aus der Innenstadt
2. Neuzuschnitt der Einkaufsberechnungsarreale durch Zusammenlegung von Fleischervorstadt und Innenstadt (was wegen der Bahnhofstraße kompletter Blödsinn ist)
3. Konterkarierung der Verkehrsentlastung der Bahnhofstraße durch die Bahnparallele durch die um bis zu einem Drittel zunehmende Verkehrsdichte durch die Zufahrt auf das KAW-Gelände (herrlich, endlich einmal in langen Verwaltungsdeutschtiraden schwelgen zu dürfen)
4. Fehlende Anbindung des B-Plan-Gebietes an die Fleischervorstadt

Kurz gefragt: Nutzt das Einkaufszentrum wirklich den Rollator schiebenden Senior_innen aus der Fleischervorstadt? Kommen wir mit dem Verkehr klar, der durch das EKZ (tolle Abk.) auf der Bahnhofstraße entsteht? Töten wir nicht die Innenstadt endgültig, statt den bereits bestehenden Passagen-Leerstand sinnvoll zur Belebung selbiger zu nutzen?

Diese Fragen hätten wir schon vor zwei Jahren diskutieren müssen. Dass dies nicht passiert ist, spricht gegen die momentane Ausführung der repräsentativen Demokratie und für mehr Bürger_innenbeteiligung!