Befindlichkeit statt Wahrheit. Was tun? Gegenhalten!

Das Leitbild des postfaktischen Diskurses ist nicht mehr die Wahrheit bzw. das Streben danach, sondern das Ernstnehmen von Befindlichkeiten.

In Greifswald ist die Struktur im Rahmen der Namensdiskussion an der Universität so, dass eine Minderheit behauptet, "die" (also: alle) Greifswalder zu repräsentieren, "die" (also: alle) Mitarbeitenden der Universität, "die" (also: alle) Heimatverbundenen, "die" (also: alle) lieben Menschen überhaupt.

Dagegen stehen Zugezogene, Wessis, Studierende, die als "freche Rotzgören" verunglimpft werden (Originalzitat eines Patronatsbefürworters, natürlich emeritiert, aber noch mit seinem Titel protzend).

Die Argumentationsstruktur ist: Ich behaupte meine Befindlichkeiten als Wahrheiten so lange, penetrant und laut, dass die "Gegenseite" die Erde als Scheibe als Meinung akzeptiert, die ernst genommen werden muss.

Als kleine Nachhilfe für ein Zwölftel der Greifswalder studentischen Vertretenden im Senat und den Greifswalder Oberbürgermeister, die den Greifswalder "Alleinvertretenden" voll auf den Leim gegangen sind:
Entscheidend ist, dass der Populist eine Art moralisches Monopol anmeldet, wonach er – und nur er – das Volk wirklich repräsentiere. [...] Wer wie die Populisten einen moralischen Alleinvertretungsanspruch in der Politik erhebt, signalisiert damit auch immer gleich, dass alle anderen politischen Mitwettbewerber im Grunde nicht legitim seien. Dies ist aber nicht die einzige Konsequenz aus dem Grundanspruch der Populisten, als einzige das Volk zu vertreten. Aus ihm folgt zudem, dass alle, welche die Populisten nicht unterstützen, auf irgendeine Weise gar nicht zum Volk gehören. [...] Sie haben gar keine prinzipiellen Einwände gegen das moderne Grundprinzip der politischen Repräsentation; sie meinen nur, dass das Volk die falschen Repräsentanten habe – wenn sie nicht selber an der Macht sind. Sie streben keine Umgestaltung der politischen Systeme in Richtung mehr direkte Demokratie an, sondern wollen nur bisweilen ein Referendum nutzen, um zu demonstrieren, dass die derzeit Mächtigen den wahren Volkswillen gar nicht umsetzten. [...] Populisten wollen keinen ergebnisoffenen politischen Diskussionsprozess unter den Bürgern, sondern kennen die richtige – weil vom Volksbegriff symbolisch korrekte – Antwort immer schon vorher.
So viel zu der Forderung von AH und Konsorten, die Greifswalder Öffentlichkeit in die Uni-Namengebung einzubeziehen: Das Ergebnis liegt (im Wunschdenken der "Alleinvertretenden") schon fest! Kohler, Matschke, Liskow und ihre Kumpels verhalten sich zu einhundert Prozent nach gerade modernem Muster:
Nun erwächst den Populisten aus ihrem moralischen Alleinvertretungsanspruch eine nicht ganz triviale Herausforderung. Sie behaupten, das Monopol der authentischen Repräsentation zu haben – doch warum bekommen sie dann bei Parlamentswahlen oder Referenden nicht hundert Prozent der Stimmen? Die eine Möglichkeit, diesen Widerspruch aufzulösen, besteht darin, den Status von Bürgern, die Populisten ablehnen, als Teil des authentischen Volkes in Frage zu stellen. Eine andere ist, politischen Systemen, die aus Sicht der Populisten politisch und moralisch falsche Ergebnisse produzieren, die Legitimität abzusprechen. Es ist kein Zufall, dass Populisten nach für sie ungünstigen Wahlergebnissen immer gleich die Systemfrage stellen. [...] Man kann nicht eine vermeintliche «Substanz» des Volkes (von Populisten oft als schweigende Mehrheit tituliert) gegen die existierenden demokratischen Institutionen inklusive des Wahlprozesses ausspielen.
Der erweiterte Senat der Universität hat nicht mal so gerade eben und knapp, sondern mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen (das sind doppelt so viele Stimmen wie "rotzfreche Gören" im Senat sitzen) für die Ablegung des Namens gestimmt. Die Greifswalder Bürgerschaft hat mehrheitlich gegen die Einmischung in universitäre Angelegenheiten gestimmt. Aber AH und Konsorten wollen so lange abstimmen lassen, bis ihnen das Ergebnis passt. Sie hetzen, denunzieren und diffamieren und haben den demokratischen Diskurs schon lange verlassen. Wir kennen das vom gegenwärtigen türkischen Präsidenten: Ich nutze die Instrumente der Demokratie, um sie zu zerstören. Beispiel: Erneute Sondersitzung der Bürgerschaft.

Und das wir jetzt von einem Zwölftel der studentischen Vertretenden im Senat und vom Greifswalder Oberbürgermeister unterstützt.
Sie [die Nicht-Populisten, d. A.] müssen aber auch deutlich machen, wo die demokratische Auseinandersetzung an ihre Grenzen stösst: Wenn die Populisten mehr oder weniger nonchalant die Systemfrage stellen oder mit den handelsüblichen Verschwörungstheorien die Welt erklären, müssen andere Politiker klarmachen, dass hier das Terrain einer «normalen» demokratischen Diskussion über Interessen und Identitäten gerade verlassen wird.
Keine einfache Aufgabe. Aber wer hat jemals guten Gewissens behauptet, dass Demokratie einfach sei?

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