Postfaktizismus

stellt die heutige OZ (leider nicht online) in den Focus ihres Blickpunktes. Es sind Zitate aus einem bei facebook veröffentlichten Aufsatz von Weisband. Sie fährt fort:

Zur Untermauerung zitiert der Artikel in der OZ den US-Psychologen Daniel Gilbert.

                                 Er


Ein perfektes Beispiel für dieses "leise Sterben der Wahrheit", wie der Gesamtartikel überschrieben ist, bietet die Berichterstattung in der OZ über die Arndt-Debatte. Abgesehen davon, dass sich die OZ zum Forum derjenigen hat machen lassen, die gegen den Senatsbeschluss der Universität sind, und Raum gab für die wüstesten Beschimpfungen von Befürwortenden der Namensablegung, für das überreizte Klima, das sie beschreibt, also selbst ein gutes Stück Arbeit geleistet hat, sollte man sich die Form der Berichterstattung über die gestrige Bürgerschaftssitzung genauer anschauen. Das tun wir, indem wir den unten stehenden link betätigen:

In der OZ von heute (dasselbe dürfte für die vorhergehenden Ausgaben gelten, wird hier aber nicht zum Thema) wird steif und fest der "grüne Himmel" behauptet.

Es sind zwei Artikel zur gestrigen Sondersitzung der Bürgerschaft erschienen, nämlich dieser und dieser. Der erste Artikel steht auf der ersten überregionalen Seite an prominenter Stelle (Überschrift über dem Knick), der zweite als Aufmacher auf der Lokalseite mit zahlreichen Kästchen, Fotos und hervorgehobenen Zitaten.

Die Überschrift auf der überregionalen Titelseite ist die negative Formulierung des Abstimmungsergebnisses:

Greifswalder CDU scheitert mit Arndt-Antrag gegen Uni

Immerhin ist die "Unterüberschrift" positiv formuliert:
Die Bürgerschaft stellt sich hinter das Votum des Senats
Im zweiten Satz auf der ersten Lokalseite heißt es:
In einem Punkt sind sich zahlreiche Bürgerschaftsmitglieder, Unimitarbeiter, die Rektorin und der OB einig: Sie alle hatten nicht mit der Entscheidung des Senats gerechnet, den Namen Ernst Moritz Arndt (1769-1860) abzulegen.
Nicht die Tatsache, dass es eine Zweidrittelmehrheit im Senat für die Ablegung des Namens gab, ist wichtig, sondern dass "zahlreiche" (?) Bürgerschaftsmitglieder, Unimitarbeiter und die Rektorin "überrascht" waren von dem Ergebnis, es im Prinzip also in Zweifel ziehen. Weiter beginnt die OZ nicht endlich mit der Berichterstattung, sondern fährt fort mit dem Zweifel an (seit gestern Abend) beiden Beschlüssen:
Ebenso wenig waren sie auf die anschließend losbrechende Protestwelle innerhalb der Stadt vorbereitet. „Es ist ein Aufschrei durch die Stadt gegangen, wie wir ihn in den letzten 25 Jahren nicht erlebt haben“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Kerath. Auch Jörn Kasbohm, der Vorsitzende der Linksfraktion ist betroffen: „Das hat uns überrascht. Wir haben das Thema unterschätzt.“
In der Fortsetzung zeichnet sich der Artikel durch Behauptungen aus, die der Realität der Greifswalder Bürgerschaft nicht entsprechen. Seit der Abwahl von Liskow als Bürgerschaftspräsident, der Wahl von Socher zur Bürgerschaftspräsidentin und der gemeinsamen Nominierung von Fassbinder zum "linken" Bürgermeisterkandidaten ist die Greifswalder Bürgerschaft mehr denn je in zwei Lager gespalten, die mehr oder weniger feste Grenzen haben. Beschlüsse können nur äußerst knapp und durch Bewegung einzelner Randfiguren zwischen den beiden Lagern gefasst werden. In völliger Unkenntnis bzw. bewusster Vernachlässigung dieser Situation schreibt die OZ, der von CDU, KfV und den Einzelmitgliedern der Bürgerschaft Hoebel (FDP), Multhauf (LINKE) und Kramer (AfD) eingebrachte Antrag,
der Senat möge seine umstrittene Entscheidung überdenken, wurde nach mehr als zweistündiger Debatte knapp abgelehnt. 18 Mitglieder sprachen sich dafür aus, 21 dagegen. 
Ebenso heißt es auf der Titelseite der Gesamtausgabe:
In einer knappen Entscheidung stimmten während der Sondersitzung am Montagabend 21 Mitglieder gegen den Antrag der Christdemokraten, 18 dafür.
Er wurde nicht "knapp" abgelehnt. Unter den gegebenen Verhältnissen in der Bürgerschaft, von der die Artikelschreiberin entweder nichts weiß oder die sie bewußt unterschlägt, ist dies keine knappe, sondern eine deutliche Entscheidung - drei Stimmen mehr bedeuten unter den gegenwärtigen Verhältnissen ungefähr so viel wie die zwei Drittel im Senat. Aber auch diese letztere Entscheidung will die OZ ja nicht als demokratisch getroffen gelten lassen.

Als Unterschied zur OZ-Berichterstattung ist hier nochmals zur betonen, dass die Senatsmehrheit überaus deutlich ausfiel, eben mit zwei Dritteln; jeder Politik betreibende Mensch würde sich freuen, könnte ersiees sich auf eine solche Mehrheit stützen. Und die Entscheidung der Greifswalder Bürgerschaft fiel deutlich aus, nicht "knapp". Dies ist allen Behauptungen (von CDU und KfV, aber auch von der OZ) entgegenzuhalten, die bauchgefühlte Mehrheiten bei der Greifswalder Bevölkerung und den Mitarbeitenden der Universität woanders sehen. Einziger Nachweis für diese "Mehrheiten" ist der Leserbrief-Shitstorm in der OZ und das subjektive Gefühl (mit dem ja zunehmend, vor allem in konservativen Kreisen, seit Auftreten der AfD Politik begründet wird).

Thema FDP und Bleckmann: Torsten Hoebel (FDP) ist Miteinbringer des zur Abstimmung gestanden habenden Antrags, André Bleckmann (FDP) hielt in seinem Redebeitrag (wie auch vorher schon in einem OZ-Artikel) dagegen. Es ist richtig, dass Bleckmann auch die OZ-Berichterstattung seit 2016 erwähnte, was die OZ-Berichterstatterin, Eigeninteressen folgend, natürlich erwähnte. Viel wichtiger aber war, dass Bleckmann deutlich machte, dass der Kanzler der Universität im vergangenen Jahr regelmäßig im Ausschuss für Bildung, Universität und Wissenschaft über die universitäre Namensdiskussion berichtet habe. "Nachfragen?", fragte Bleckmann gestern, und antwortete: "Keine. Vorschläge? Auch keine." Dieses Faktum unterschlägt die OZ, um den Himmel der "Überraschung" weiter grün zu halten. In der OZ wird das folgendermaßen zurechtgeschrumpft:
" [...] Wenn aber die Einbringer behaupten, die Entscheidung war überraschend, dann ist das schlichtweg falsch“, sagt Bleckmann und verweist auf die umfangreiche Berichterstattung in der OSTSEE-ZEITUNG und anderen Medien seit Beginn der vierten Arndt-Debatte im Sommer 2016.
Das Nicht-Berichterstatten wird fortgesetzt, wenn der OB Fassbinder zunächst folgendermaßen zitiert wird:
Mehrere Redner warfen der Universität Fehler bei der Entscheidungsfindung vor, unter anderen Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne): „Der Senat ist zu Recht zu kritisieren.“
Dann folgt ein langer Absatz im gerade zitierten Sinne, dessen letzter Halbsatz dann aber doch lautet (im Verständnis der OZ-Berichterstatterin: leider doch lauten muss):
der dafür warb, die Entscheidung des Senats zu akzeptieren.
Nicht, dass Fassbinder dafür warb, den Senatsbeschluss zu akzeptieren, sondern die Kritik am Senatsbeschluss steht für die OZ-Berichterstatterin im Vordergrund und bildet das textumfängliche Schwergewicht.

Andreas Kerath (SPD) warb ebenfalls für die Akzeptanz des Senatsbeschlusses. Aber die OZ schreibt:
Die Universität habe es versäumt, die Stadt um ihre Meinung zu fragen, sagte der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Andreas Kerath. Er räumt gleichzeitig Versäumnisse auf Seiten der Bürgerschaft ein. „Wir haben seit den ersten Namens-Diskussionen 1998 keinen einzigen Beschluss gefasst, wie die Bürgerschaft zu Arndt steht. Ein solcher Beschluss hätte viel von der jetzigen Wut und Enttäuschung genommen“, sagte Kerath.
Dass sich Kerath in seinem Redebeitrag für die Akzeptanz einsetzte und den vorliegenden Antrag ablehnte, muss sich die Leser_in dann aus den Abstimmungsergebnissen erschließen, die OZ-Berichterstatterin bringt es nicht über ihre Lippen bzw. über ihre Tastatur. Leider allerdings kann man sich auf ihren Bericht aber nicht verlassen, denn er stellt das Abstimmungsergebnis falsch dar.
Der dickste Klops ist nämlich die generalisierende und nicht mehr differenzierende Schreibe der OZ-Berichterstatterin, um den Artikel über den von ihr offensichtlich nicht für korrekt empfundenen Bürgerschaftsbeschluss endlich beenden zu können:
Letzlich folgten Linke, SPD und Grüne/Forum 17.4. der Bitte von Uni-Rektorin Johanna Weber, das Votum des Senats zu akzeptieren. Die Fraktionen von CDU, Kompetenz für Vorpommern und Bürgerliste/FDP stimmten für die Beschlussvorlage.
Das ist falsch. Erstens hat Peter Multhauf (LINKE) den abgelehnten Antrag (zusammen mit Nikolaus Kramer von der AfD) mit eingebracht, und André Bleckmann (FDP) hat in einem ausführlichen Redebeitrag dargelegt, warum er dem Antrag nicht zustimmen kann. Zudem gab es eine namentliche Abstimmung, die die OZ-Berichterstatterin offenbar nicht mitbekommen hat.

Die OZ in Gestalt der Berichterstatterin von der gestrigen Bürgerschaftssitzung erzählt den OZ-Leser_innen so lange, dass der Himmel grün ist, bis die Lesenden diese Aussage als "alternative fact" und eine mögliche Meinung, gleichwertig unter anderen, akzeptieren. Dadurch verliert die Aussage ihre Falschheit und wird zu einer entweder zu akzeptierenden oder abzulehnenden Meinung aufgewertet, jedenfalls ist sie nicht mehr falsch im Sinne einer journalistischen Berichterstattung.

Offensichtlich gibt es einen kategorialen Unterschied zwischen dem durch die Lokalredaktionen bestimmten Teil der OZ und dem eingekauften - wenn es nicht so ist, dass die eigenen Lokalredaktionen von der Gesamtredaktion als Zeugen dafür benutzt werden, dass "die Wahrheit langsam stirbt".


Kommentare