Die Kleine Anfrage des Jahres

Gesunde einhundertdreiunddreißig Tage reifte die Kleine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Malottki (SPD) in den Räumen des Rathauses, bis wir interessierte Einwohner*innen die Antwort in Händen halten dürfen. Und bei den Fragen zur Verkehrssituation vor der Kollwitzschule in der Loefflerstraße ging es ja nicht nur um eine Angelegenheit im Herzen der Stadt, sondern sogar um ein dringendes Anliegen besorgter Eltern. Da ist es nur verständlich, daß die Antwort entgegen sonstiger Gewohnheit vergleichsweise gesprächig ausfiel. Fragen, die Aspekte des kommunalen Finanzrechts zum Thema haben, könnten zwar auch erhebliche Auswirkungen auf die Stadt und ihre Einwohner*innen haben, aber das verstehen die meisten Eltern nicht, und da ist die Verwaltung gerne mal ein wenig pampig.
Die Antworten zur Verkehrssituation in der Loefflerstraße sind hingegen, wie gesagt, auf den ersten Blick recht hübsch und gefällig formuliert.
Und da die Fragen ja tatsächlich von gewissem Interesse sind, schaun mer doch mal rein.

Das MdBS Malottki fragte also „Wie bewertet die Stadtverwaltung die Verkehrssituation vor der Käthe Kollwitz- Grundschule, insbesondere von 7.00 bis 8.00?“

Und die Stadtverwaltung bewertet unter anderem so:
„In der Spitzenstunde von 7 bis 8 Uhr querten zwischen den Aufpflasterungen in der Brüggstraße und in der Knopfstraße 148 Personen die Fahrbahn, zugleich befuhren 410 Kraftfahrzeuge diesen Verkehrsbereich. Unmittelbar vor der Querung der Knopfstraße lag die sogenannte V85-Geschwindigkeit, das ist die höchste Geschwindigkeit, die 85% aller Fahrzeugführer nicht überschreiten, bei 21 km/h (85% aller Kraftfahrzeugführer fuhren langsamer als 21 km/h).“
Es nennt sich Argumentieren mit Zahlen. Das ist der in Verwaltungen beliebte und bewährte technokratische Ansatz. So schafft man sich erstmal Sicherheit und spielt auf Ballbesitz.
Kann man machen. Man muß sich dann allerdings die Frage gefallen lassen, wie lebensnah dieser Ansatz ist. Deutlich wird das Problem im folgenden Satz:
„Die Geschwindigkeit war damit nach Auffassung der Straßenverkehrsbehörde niedrig genug, um unmittelbar im Bereich der Querung mit den Fußgängern Blickkontakt aufzunehmen und sobald ein Kind die Fahrbahn betreten würde, das Fahrzeug sofort zu stoppen.“
Heißt erstens, in Verbindung mit den Zahlen davor: Ein fünfzehnprozentiges Risiko ist dann mal okay so.
Zweitens: Ein wesentliches Problem der als „Aufpflasterung“ bezeichneten Querungs-„Hilfe“ wird wie immer komplett übersehen. Denn wenn der Kfz-Verkehr in zwei Richtungen mit Tempo 20 fährt, tut er das gerne Stoßstange an Stoßstange und der Fußverkehr hat auch erstmal keine Lücke, es sei denn, er verhält sich offensiv genug. Damit erwarten wir hier von Grundschulkindern offensives Verhalten im Straßenverkehr. Oder sie kommen zu spät zur ersten Stunde.
Also: Solange die Regelung des Vorrangs nicht prinzipiell geändert wird, bleiben die „Querungshilfen“ Mist. Mist, der am Ende doch wieder nur dem Autoverkehr hilft, denn der muß ja nicht anhalten.

Am Ende von Seite eins muß die Stadtverwaltung allerdings einräumen, daß es da doch noch Probleme gibt:
„Andererseits gibt es Verkehrsteilnehmer sowohl auf Seiten der Fahrzeugführer als auch auf Seiten der Fußgänger, denen die im Straßenverkehr immer notwendige wechselseitige Kommunikation, die erforderlich ist, um sicher und erfolgreich im Straßenverkehr voran zu kommen, aus welchen Gründen auch immer, schwerfällt.“
Wir übersetzen: Die Grundschulkinder sind selber schuld, zumindest irgendwie auch.
Ich bin immer wieder von Neuem begeistert von dieser Art von Menschenbild.
Aber immerhin: Nicht ganz und nicht nur. Denn sogar die Technokraten und Zahlenjongleure in unserer Stadtverwaltung müssen noch etwas zugeben. Und so hinterhergeschoben, wie der Satz wirkt, merkt man förmlich: es ist ihnen schwergefallen.
Das: „Nachteilig wirken sich die Parkverstöße der Eltern unmittelbar im Bereich der Schule für Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen, aus.“
Bedeutet weniger verdruckst gesagt: Die Eltern, die aufgrund der Verkehrssituation vor der Schule ihrer Kinder besorgt sind, sind selbst ein erheblicher Teil des Problems.
Nicht, daß wir das so oder ähnlich nicht bereits geahnt hätten.
Bei der Neugestaltung der Loefflerstraße zwischen Brüggstraße und Knopfstraße hat man sich das Problem aber auch mit voller Absicht und entschlossen herbeigebaut, zum Beispiel durch die Anlage von Hubschrauberlandeplätzen für Hubschraubereltern direkt vor der Schule. Wir hatten da noch gewarnt und gesagt, direkt vor eine Schule gehören keine Parkplätze für den motorisierten Individualverkehr hin, denn das gibt nur Ärger.
Doch sie wollten ja nicht hören und jetzt hamwer den Ärger.
Andererseits darf man natürlich auch die Frage stellen, ob die Eltern das nicht erst untereinander klären sollten. Es könnte einigen von ihnen dabei natürlich auffallen, daß sie mitverursachend für das Problem sind. Aber vor mancher schmerzhaften Erkenntnis kann man sich eben nicht ewig drücken.

Malottki hatte noch eine zweite Frage und wollte wissen, welche Möglichkeiten einer Verkehrsberuhigung die Stadtverwaltung denn sehe.
Und da immerhin hat der Oberbürgermeister sich nun daran erinnert, daß er mal ein großer Anhänger von Zebrastreifen war und sogar immer noch ist und daher „... entschieden, dass die Stadt, nach der 2009 durch das Landesamt für Straßenbau- und Verkehr M/V erteilten Ablehnung eines Fußgängerüberweg, nun erneut einen Antrag auf Einrichtung des Fußgängerüberweges stellt.“
Wir spendieren noch einen Genitiv und geben ansonsten zu: Die landesrechtliche Vorschrift ist da bescheuert. Wer je in süd- oder westeuropäischen Städten unterwegs war, wird wissen, daß dort die Gemeinden überall Zebrastreifen „einrichten“ können, wenn sie nur wollen. Bei uns muß man sowas genehmigen lassen. Damit ist leider ein Ausweg gegeben, einer anderen staatlichen Ebene die Verantwortung zuzuschieben, wenn es nicht klappt, auch das so eine bewährte Methode.
Aber vielleicht klappts ja doch diesmal. Und vielleicht hält dann sogar mal ein Kfz an. Und vielleicht sollte auch mal sanktioniert werden, wenn genau das nicht passiert. Aber lassen wir das Problem der oft nicht verkehrsdisziplinierten autofahrenden Bevölkerung in unseren Breiten vorerst mal beiseite.
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und ganz offensichtlich war es eine schwere Geburt.

Ein Bonbon gibts noch zum Schluß.
Denn außerdem „... prüft die Stadtverwaltung, ob eine Schulwegplanung mit Hol- und Bringzonen umgesetzt werden sollte“.
Hätte man sich mindestens mal früher überlegen können, siehe oben. Wir sind gespannt, wo die Hubschrauber dann bald landen sollen und freuen uns, daß die Geschichte noch nicht zum Abschluß kommt, sondern eine schöne Fortsetzung findet.
Ich finde, die Hol- und Dingszonen brauchts nicht und es tät völlig ausreichen, den Parkstreifen vor der Kollwitzschule zu Gunsten eines breiteren Gehweges komplett aufzugeben. Zuviel Kompromiß mit dem motorisierten Individualverkehr muß schließlich nicht sein, er macht uns allen das Leben schon schwer genug.

Vielleicht sollte man für denselben motorisierten Individualverkehr die Loefflerstraße im fraglichen Abschnitt aber auch gleich ganz sperren. Aber das wär zu einfach.