"Geflüchtete haben gefälligst dankbar zu sein"

Populistischer Unsinn eines "Stockkonservativen"

Der Nordkurier bringt heute ein Streitgespräch in seiner Anklamer Druckausgabe und leitet dies wie folgt ein:
"Manche fühlen sich an DDR-Zeiten erinnert, weil "man ja nicht mehr sagen darf, was man denkt". Andere haben einfach nur Angst. Entweder vor zu vielen Flüchtlingen, zu viel Hass beim Streit über dieses Thema oder davor, dass sie sofort niedergebrüllt werden, wenn sie auch auf die Chancen hinweisen oder die schiere Menschenpflicht, zu helfen. Beim Nordkurier gibt es diese Hemmungen jedenfalls nicht. Wir luden zwei Männer, die sich nichts schenken, zum Schlagabtausch über das Flüchtlingsthema ein und warfen ihnen aktuelle Stichworte zu: Einmal den Anwalt Matthias Fischer, der sich nichts daraus macht, wenn man ihn stockkonservativ nennt. Tut er ja selbst. Und auf der anderen Seite Eric Wallis, der sich hauptberuflich um Integrationsprojekte und den Kampf gegen rechte Strukturen kümmert. Es fielen deutliche Worte."

Dazu eine Anmerkung. Herr Fischer als Jurist und Rechtsanwalt übersieht bei seinen Anmerkungen eine Sache völlig. Herrn Wallis´ Aufgabe war es ausdrücklich nicht, darauf zu verweisen, Fischer als Experte muss es aber wissen.

Wenn Fischer ausführt, dass "viele Hartz-4-Empfänger [...] über Jahre einen Beitrag für die Gesellschaft geleistet" [haben] und es verdienten, "deshalb im wirtschaftlichen Sinne eine bevorzugte Behandlung" zu bekommen und weiter meint, "von den Gästen mehr Dankbarkeit erwarten" zu können, so geht das an der Verfassung vorbei. Ich möchte jetzt nicht auf die Neiddebatte eingehen, die mit solchen Aussagen sicherlich gefördert wird. Die einen Armen gegen andere auszuspielen, verbietet sich. Aber das Grundgesetz zu kennen, müsste man von Herrn Fischer erwarten dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen zum menschenwürdigen Existenzminimum, das nicht unterschritten werden darf, geurteilt. In der Entscheidung von Februar 2010 setzte es sich mit den Leistungen des SGB II (Hartz IV) auseinander und stellte dazu fest:
"Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind."

Ob das jetzt bei Hartz IV tatsächlich gegeben ist, sei dahin gestellt, Zweifel sind mehr als angebracht. Die zweite Entscheidung ist im Zusammenhang des Gespräches aber wichtiger. Im Juli 2012 urteilte das BVerfG über die Leistungen des AsylbLG und führte dazu grundlegend aus:
"Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 125, 175). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu."

D.h., ausländischen und einheimischen Hilfebedürftigen stehen die gleichen Leistungen zu, nämlich solche zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums. Weiter, und das ist entscheidend, heißt es in der Entscheidung: "Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu." Und weiter: "Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren."

Aus der gesamten Entscheidung ist ersichtlich, dass sich Leistungen - auch an Geflüchtete - nur am Existenzminimum zu orientieren haben, andere Überlegungen sind ausgeschlossen. Immerhin ist von einem Menschen- bzw. Grundrecht die Rede, diese Sichtweise scheint leider in letzter Zeit verloren zu gehen. Fischer meint ja auch: "Man kann sich fragen, ob alle sofort Sozialhilfe in voller Höhe bekommen." Oder: "Ich habe da einen ganz einfachen Tipp. Nur eine Frau, die sich an einem Deutschkurs beteiligt, bekommt auch den vollen Sozialhilfesatz." Genau das, eine Kürzung, die Fischer hier im Auge hat, geht nicht, das Gegenteil ist als Menschenrecht von der Verfassung vorgeschrieben.

In der ganzen Diskussion sollten wir unser Grundgesetz und die universalen Menschenrechte nicht aus dem Auge verlieren. Unsere Rechtsordnung, die zu verteidigen Herr Fischer vorgibt, können wir nicht durch Verstoß gegen eben diese verteidigen.

Fischer: "...weil ich diese Menschen in der Masse hier einfach nicht haben will. Das darf auch nicht auf die ausländerfeindliche Schiene geschoben werden."