Auf der Kippe +update+

Unveränderbares Element des Autors politischer West-Sozialisation (um nicht zu sagen: unwandelbares Vorurteil) war der Protofaschismus Deutschlands, damals in Gestalt der Bundesrepublik, begonnen mit dem Hurra!-Geschrei für den ersten Weltkrieg, die Kaiserverherrlichung, die Billigung der Kriegskredite durch die SPD, die deutliche Zurückhaltung der "bürgerlichen Mitte" gegenüber der Weimarer Republik, der rasante Aufstieg der Nazis, die Begeisterung für den Zweiten Weltkrieg, die "Wiederverwendung" der Nazi-Größen in der entstehenden BRD, die Repression in den Sechzigern, die EWG als "Händler- und Krämerunion", die Berufsverbote, das Verbot der DKP, die Aufrüstung, der Atomstaat, der Kalte Krieg - nach einer kurzen Phase des politischen Schlafes dann der Untergang der DDR als Staat, der Neoliberalismus mit seiner sozialen Gleichgültigkeit und Kälte, die Internet-Blase, die Finanzkrise mit dreistelligen Milliardenbeträgen zur Rettung systemwichtiger Banken und keinem Cent für soziale Projekte, die gegenwärtige EU-Krise, die zeigt, dass es den Händlern und Krämern immer noch nur um Gewinnmaximierung geht ohne irgendeine Andeutung eines ideellen Überbaus - wirklich geändert hat sich wohl nichts.

Aber dass ein sich liberal-demokratisch verstehender Staat (ich trenne der Einfachheit halber hier einmal nicht zwischen Regierung und Gesellschaft) so schnell angesichts eines Phänomens, das noch kein halbes Jahr alt ist, droht, wieder in rechtspopulistische oder sogar -extreme Denkschemata zu kippen, ist erstaunlich und bestürzend.

Die SPD überholt die CDU rechts, ausschließlich das Machtkalkül hält große Teile der CDU vom Sturz der Bundeskanzlerin ab, die CSU tobt auf offen rechtsradikalen Gebieten herum, das Protest- und Widerstandspotential der Grünen reduziert sich auf Gestalten wie Kretschmann, Özdemir, KGE und ähnlichen Profillose, der Aktionismus des NPD-Verbots fördert die Nazis im Lande, die Tatsache, dass die DDR ihre Nazis nur ausgeblendet hat, und sie jetzt fröhliche Urstände feiern in Leipzig, Dresden und anderen braunen Flecken in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, so dass ganze Bundesländer zu No-Go-Areas werden, die Linke in MV entdeckt mit ihrem Landtagswahl-Spitzenkandidaten "Heimat" und "Familie" - es wird einem schon ganz schön mulmig!

Vor allem wundert es mich, wie schnell der liberal-demokratische Lack ab ist. Ja, es gibt eine zu bewältigende Aufgabe. Ich bin auch der Meinung, "wir schaffen das", weil die Bundesrepublik noch immer ein sehr, sehr reiches Land ist. Aber dass eine vielleicht schwer, aber eigentlich problemlos zu bewältigende Aufgabe gleich dazu herhält, alles abzustreifen, was irgendwie mit Toleranz und Demokratie zu tun hat, und das in einer Geschwindigkeit, die manche Schlange beim Häuten nicht erreicht, ist erstaunlich und: erschreckend.




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