1. Mai in Rostock: "Jeder hat das Recht, getragen zu werden!"

Wir kennen es schon aus den letzten Jahren: Die NPD nutzt den 1. Mai (unter völliger Vernachlässigung seines tatsächlichen geschichtlichen Ursprungs) gern, um zu Großkundgebungen in ihrem Sinne aufzurufen, auch in Mecklenburg-Vorpommern. In diesem Jahr fiel die Wahl der NPD wie schon 2010 auf Rostock.

Vor vier Jahren hatten die Nazis allen Grund, ihre Anwesenheit in der Hansestadt als Erfolg zu feiern, denn die Polizei sorgte mit fast vollständiger Abriegelung des Viertels dafür, dass sie im Wesentlichen ungehindert durch Groß Klein marschieren und ihre menschenfeindlichen Parolen verkünden konnten.

In diesem Jahr meldeten sie sich für Dierkow und Toitenwinkel an: Sicher nicht zufällig, befindet sich doch in Toitenwinkel das Mahnmal für den vor zehn Jahren vom NSU ermordeten Mehmet Turgut. Insofern erschien die Entscheidung der Stadt, einen NPD-Marsch dort nicht zuzulassen, sondern ihn nach Groß Klein zu verlegen, durchaus schlüssig und weitsichtig (auch wenn die NPD-Präsenz in Sichtweite des Sonnenblumenhauses wahrlich ebenfalls kein Selbstgänger ist!).

Das Aktionsbündnis "1. Mai - Rostock nazifrei", gestützt von 150 Initiativen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, hegte die berechtigte Hoffnung, im selben Stadtteil zu einem friedlichen Demokratiefest 2000 Teilnehmer zu versammeln. Da hatten sie die Rechnung aber ohne die Stadtverwaltung gemacht, die offenbar aus den Erfahrungen von 2010 nichts lernen wollte und das Fest verbot - eine Entscheidung, die allgemein für Fassungslosigkeit sorgte. Oberbürgermeister Roland Methling freute sich zwar verbal über die vielfältigen Versammlungsanmeldungen zum 1. Mai, die, wie er sagte, auch an diesem Tag Weltoffenheit und Toleranz der Stadt dokumentierten; jedoch wird er sich in Zukunft fragen dürfen, wer ihm angesichts der Entscheidungen seiner Verwaltung und Polizei seinen Dank an die demokratische Zivilgesellschaft noch abnimmt (siehe hier).

Aber der Protest gegen die Anwesenheit der NPD formierte sich erfinderisch und an vielen Orten der Stadt; letztlich waren über 2000 Menschen, zu Fuß und per Fahrrad, auf den Straßen unterwegs. Das OVG in Greifswald ermöglichte eine Gegenkundgebung am S-Bahnhof Lichtenhagen: Dort versammelten sich im Laufe des Vormittags etwa 1000 Menschen, um auf die Rechten zu warten. Die Polizei war ebenfalls da und wartete mit den KundgebungsteilnehmerInnen. Alle gemeinsam, jedoch vergeblich: Es gab aufgrund von Bränden in Güterwaggons Störungen im Zugverkehr, die NPD konnte deshalb nicht nach Groß Klein anreisen und stand zunächst weiter am Hauptbahnhof. Dann kam die Nachricht: "Sie marschieren doch in Dierkow und Toitenwinkel!". Das führte zu einem Zwischenfall, der die Verfassung und Direktiven der Polizei an jenem Tag illustrierte: Viele, sehr viele Polizeibeamte in voller Montur "kümmerten" sich unter Einsatz von Pfefferspray um einen jungen Mann, der sich per Bahn auf den Weg in die entsprechenden Stadtteile machen wollte. Von der Straße aus betrachtet konnte der Einsatz nur unverhältnismäßig (und, wäre er für den Betroffenen nicht so schmerzhaft gewesen, geradezu lächerlich) wirken.

Die Verlegung der NPD-Route war eine ungünstige Entscheidung. Nicht nur, dass die Rechten damit doch genau dort marschieren durften, wo sie ursprünglich marschieren wollten: Zusätzlich trennen Groß Klein und Dierkow ein Fluss und viele Kilometer. Wer sich per Straßenbahn auf den Weg machte, hatte alle Chancen, unterwegs von der Polizei abgefangen, aus der Bahn gefischt und aufgehalten zu werden. An der Vorpommern-Brücke, die die Warnow überquert, warteten Wasserwerfer und Hundertschaften, um den Gegendemonstranten den Weg zu versperren. Der Verkehr bewegte sich durch ein künstliches Nadelöhr: An der Polizei kam nur vorbei, wer harmlos, bunt und (wir wollen es nicht verschweigen) alt genug aussah, um nicht im Verdacht der Demonstrationsabsicht zu stehen.

Wem es gelang, am frühen Nachmittag die S-Bahn-Station Dierkower Kreuz zu erreichen, der fand dort neben den Bahngleisen 300 Nazis vor, mit Polizeikräften davor, dahinter und daneben; auf der nächsten Straßenseite einen ganzen öffentlichen Parkplatz voller Polizeiwagen; und an der Straßenecke ein versprengtes Häuflein von (zunächst) nur etwa 30 Gegendemonstranten, die einander erst einmal überrascht beäugten und es nicht fassen konnten: Wie geht das Wunder vor sich, dass aus tausend dreißig werden? Mehr Frust ist wohl kaum denkbar. Auch wenn sich die Zahl der Demonstrierenden über die folgende lange Zeit des allgemeinen Stillstands noch tröpfchenweise erhöhte und auch die nächste Straßenecke 300 Meter entfernt schon mit ordentlich Vorsprung durch eine Sitzblockade gesperrt wurde: Das Zahlenverhältnis von NPD (300, überwiegend Männer - wie gewohnt) und GegendemonstrantInnen (deutlich weniger) leistete noch nicht einmal versehentlich ein Abbild des tatsächlich vorhandenen Protests in der Gesellschaft gegen rechts.

Polizeipräsident Laum stand (mit Landtags- und DGB-Prominenz) an derselben Ecke wie wir, konnte aber leider zum Verbleib der GegendemonstrantInnen gar nichts sagen: Er habe ja nicht die Einsatzleitung. Und Einsatzleiter Michael Ebert war hinterher froh, dass es der Polizei gelungen sei, "die Protestteilnehmer auf Hör- und Sichtweite auseinanderzuhalten." (Siehe hier.) Das mag, im Zuge von Sicherheitsbestrebungen, sowohl ein Ziel als auch ein Erfolg sein. Dass es das Hauptanliegen der Stadt Rostock und ihrer Polizei ist, ist unfassbar; sie ignoriert damit auch die gängige Rechtsprechung, die die Möglichkeit zu Gegenkundgebungen gegen rechts in Sicht- und Hörweite unterstützt.

So blieben alle, die sich gruppenweise im wahrsten Sinne des Wortes zur NPD-Marschroute durchgekämpft hatten, doch sehr auf sich gestellt. Wer sich da zur Blockade auf die Straße setzte, musste angesichts einer wenig verbindlichen, zu Einkesselungen neigenden und konsequent filmenden Polizeiübermacht schon ein wenig Mut mitbringen. ("Ein jeder hat das Recht, getragen zu werden", sagten mir die beiden Polizisten, die mich aus der Sitzblockade hinter die Sicherheitsabsperrung verfrachteten. Ich hätte mich gern in anderer Weise von den demokratischen Kräften unserer Polizei getragen gefühlt, als es in meinem persönlichen Abtransport aus der Sitzblockade tatsächlich der Fall war!) Umso erwähnenswerter ist es, dass es den Gegendemonstranten in Dierkow, entlang der weiteren Strecke und auf der Vorpommern-Brücke dennoch gelang, den Weg der Rechten zu verkürzen und umzulenken. Eine wirklich öffentlichkeitswirksame Kundgebung konnten sie, allen Bemühungen der Polizei für einen freien Durchmarsch zum Trotz, nicht durchführen; und letztlich nahmen sie an einem Vorortbahnhof und nicht etwa aus einer zentralen Position heraus den Zug in Richtung ihrer persönlichen Heimat.

Denn: Es gab genug Menschen, denen es selbstverständlich war, am 1. Mai friedlich, gewaltfrei, erfinderisch, flexibel, mobil und - vor allem - mit guter Laune gegen rechts aktiv zu werden! (Überblick und Analyse zum  vielfältigen Geschehen in Rostock auch hier und hier.)

                           Polizei mit ordentlich Ausrüstung, Rostock, 1.5. 2014